Veterinary Horsemanship

Wir, in der Pferdeklinik Tappendorf, verfolgen seit vielen Jahren den Ansatz, mit unseren Patienten zusammenzuarbeiten und im Verlauf der tierärztlichen Behandlung, soweit irgendwie machbar, auf die Anwendung von Zwangsmaßnahmen zu verzichten.

Im Laufe der Jahre haben sich hierbei eine ganze Reihe von Besonderheiten im Umgang mit den Pferden ergeben, sodass wir dies unter der Bezeichnung „Veterinary Horsemanship“ zusammenfassen und entsprechend auch an interessierte Kollegen und Pferdebesitzer weitergeben wollen. Das Prinzip hierbei ist, sich aus der Sicht des Pferdes in eine Behandlungssituation zu versetzen und daraus einen möglichst auf Kompromiss und nicht auf Zwang basierenden Weg der Behandlungsdurchführung zu erreichen.

Als Beispiel sei an dieser Stelle die Ablenkung durch die Gabe von Leckerlies und die verbale Kommunikation mit dem Pferd bei der Durchführung von Injektionen, insbesondere von Leitungsanästhesien an den Gliedmaßen, zu nennen.

In den allermeisten Fällen kann dadurch auf die Anwendung einer Nasenbremse oder ähnlicher Zwangsmaßnahmen verzichtet werden. Wie in jedem Fall, so gilt auch hier natürlich abzuwägen, wie weit auf den jeweiligen Patienten die Prinzipien anzuwenden sind. Der Schutz des Menschen im Umgang mit dem Pferd hat selbstverständlich Priorität und natürlich kommen auch wir bei einigen Patienten nicht um die Anwendung der Nasenbremse für die Anästhesie einer Hintergliedmaße herum.

Das Prinzip des Veterinary Horsemanship gebietet lediglich vor der Anwendung einer Zwangsmaßnahme abzuwägen, ob dies im vorliegenden Fall tatsächlich geboten erscheint, um die Injektion korrekt platzieren zu können und die beteiligten Personen zu schützen. Es werden sich dem interessierten Tierarzt in jeder Behandlungssituation verschiedene Vorgehensweisen offenbaren, von denen, unter Gewährleistung der Sicherheit des Personals und der korrekten Durchführbarkeit der Maßnahme, der jeweils am wenigsten das Pferd belastende Weg gewählt werden sollte. Allein dieses Herangehen stellt unseres Erachtens bereits einen großen Schritt in die richtige Richtung dar.

 

Veterinary Horsemanship im Alltag

Die Bereitschaft über Wege der Kommunikation mit dem Patienten nachzudenken und sich so den tierärztlichen Alltag zu versüßen erscheint mir keineswegs abwegig. Neben der Kommunikation mit dem Patienten sind aber alle weiteren Interaktionen des Patienten mit seinem Umfeld zu berücksichtigen. Beispielsweise erscheint es mir völlig kontraproduktiv mit 2 Pferden auf dem Trailer in die Pferdeklinik zu fahren, um dann eines der Pferde in den Behandlungsraum zu führen und das andere auf dem Trailer zu lassen. Eine massive Entspannung der Behandlungssituation ist einfach zu erzielen, indem beide Pferd in den Behandlungsraum geführt werden und eines zum Zuschauer wird. An diesem Beispiel lässt sich auch erklären, wie sehr das Prinzip des Veterinary Horsemanship einen zusätzlichen Aufwand bedeutet. Es muss nämlich während der gesamten Zeit der Behandlung des einen Pferdes eine Aufsichtsperson für das zweite Pferd im Raum sein. Veterinary Horsemanship ist also nicht für wenig aufwändige und schnelle Vorgehensweisen prädestiniert.

Hier scheint mir der Hauptfaktor zu liegen, warum dieses Prinzip im tierärztlichen Alltag bisher eine nur eingeschränkte Verbreitung gefunden hat. Traditionell liegt der tierärztliche Fokus immer noch auf einer möglichst effektiven und dadurch für den Besitzer oftmals relativ kostengünstigen Behandlung seines Pferdes. Für viele Pferdebesitzer mag dies ohne weiteres auch heute noch gelten, die Mehrheit fordert jedoch inzwischen eher einen schonenden und dabei vollumfänglichen Behandlungsweg und ist durchaus bereit, den Mehrwert dieses Ansatzes zu erkennen.

Ich würde mich daher sehr glücklich schätzen, wenn wir Pferdetierärzte und Pferdeleute uns diesbezüglich öffnen, um andere Wege zu gehen, welche am Ende des Tages uns alle viel mehr befriedigen werden, da wir alle doch aus Liebe zum Patienten unsere Berufswahl einst trafen.

 

© by Dr. Jörg-Peter Belz, Pferdeklinik Tappendorf